Das Weihnachtswetter-Wunder
Petrus ließ sich erschöpft in den großen Ohrensessel sinken. Er hatte nun Stunden um Stunden damit zugebracht, die himmlische Wettermaschine bis ins Kleinste zu untersuchen. Er hatte einige Zahnräder, zwei Federn sowie vier Widerstände ausgetauscht, alles penibel gereinigt und neu geölt, wo es einen Sinn ergab. Der himmlische Schlüsselmeister war ratlos.
Gestern, am fünften Dezember irdischer Zeitrechnung, war der Nikolaus bei ihm erschienen und hatte sich beklagt, dass es viel zu warm für diese Jahreszeit sei. Bei 26°C würden seine Schokonikoläuse und Krampusse schmelzen, bevor er sie in die Stiefel der Kinder stopfen könnte. Er kenne ja das manchmal nicht an die Jahreszeit angepasste Wetter – aber DAS? So warm war es seit Menschengedenken um diese Zeit noch nie gewesen. Tja, und weil Petrus ja fürs Wetter seit ziemlich genau zweitausend Jahren verantwortlich war, musste er folgerichtig diesen Missstand auch beheben können.
Petrus hatte ihm – leicht vor Nervosität schwitzend – versichert, dass er sein Möglichstes tun werde, um das Wetter bis Weihnachten wieder in den Griff zu kriegen. Für den Nikolo- und Krampustermin allerdings würde es wohl nichts mit angepassten Temperaturen werden, denn er müsse wahrscheinlich die Wettermaschine – das sogenannte himmlische Klimatron – selbst zerlegen. Stirnrunzelnd hatte der heilige Nikolaus gefragt, ob es denn keine Mechaniker im Himmel gäbe, die so etwas erledigen konnten?
Da erzählte ihm Petrus, dass die Maschine schon seit einigen Jahren immer wieder Schwierigkeiten machte – daher rührten auch die immer häufiger werdenden Wetterkapriolen. Er hatte schon alle Mechaniker und Klimatechniker, die im Himmel zu finden waren, damit betraut – aber keiner von ihnen konnte die Ursache für die immer wieder auftretenden Fehlfunktionen finden. Also hatte er sich diesen Sommer, statt Urlaub auf der Insel der Seligen zu machen, in seine Dreifaltigkeitslatzhose gequetscht (er sollte etwas mehr Obst und dafür weniger Spekulatius und Wolkenkekse essen), den Werkzeugkasten genommen und sich das mechanische Wunderwerk näher angesehen. Aber auch er hatte eigentlich nichts finden können, was offensichtlich kaputt war.
Allerdings hatte Europa heuer unter einer absolut unnatürlich langen Hitzewelle gestöhnt. Ok, im Sommer sollte es schon heiß sein, aber so viele Tage über 35°C und mehr waren selbst für Sonnenanbeter zu viel. Petrus hatte sich auch die Sonne angesehen, denn wenn diese ein Sonnenfleckenmaximum hatte, war es auf Erden immer heißer als gewöhnlich. Aber merkwürdigerweise schien die Sonne nichts damit zu tun zu haben. Petrus hatte daraufhin den Teufel in den Himmel zitiert und ihn gefragt, ob diese Wetterunbilden sein Werk seien. Man weiß ja nie, was die Oppositionspartei sich ab und an so ausdenkt… Satan allerdings war ehrlich erstaunt und meinte, dass die Menschen, die in diesem Sommer gestorben und durch seine Höllenpforte geschritten waren, sich merkwürdigerweise nicht wie sonst über die Hitze des Höllenfeuers beklagt hatten. Im Gegenteil, sie lachten hämisch über die noch lebenden Menschen, die in diesem Sommer wegen der Hitze nicht aus noch ein wussten.
Tja, und den Erbauer dieses technischen Wunderwerks konnte er leider auch nicht fragen, denn Gott3 war vor einigen Jahrhunderten zu einer Inspektionstour durchs Universum aufgebrochen und bislang nicht wiedergekehrt. Außerdem schämte sich Petrus dafür, die Sache nicht unter Kontrolle bringen zu können und hatte deshalb selbst begonnen, die Maschine von Grund auf zu warten, so gut es eben möglich war.
Es klopfte an der Zimmertür und als Petrus „Ja, bitte?“ rief, schlüpfte der Osterhase herein. Petrus hatte gedacht, es sei einer der Engel und starrte nun verdutzt auf den langjährigen langohrigen Freund. „Ja, was machst du denn hier?“ fragte er neugierig. „Ich wollte fragen, ob ich schon mit dem Eier Bemalen beginnen soll! Ich dachte, es sei schon hoch an der Zeit, weil die Wiesen ja auch schon grün sind“ antwortete dieser. „Ja Kruzi… ähm… um Himmelswillen! Nein, natürlich nicht! Wie kommst du nur darauf?!? Die Wiesen sind nicht schon, sondern NOCH grün!“ „Naja, ich habe mir gedacht, ich habe wahrscheinlich den Winter verschlafen und wollte nur auf Nummer Sicher gehen! Und was heißt, die Wiesen sind NOCH grün???“ Nun musste Petrus ein weiteres Mal alles erzählen, was er wusste und in welcher Misere er steckte.
Der Osterhase hörte aufmerksam zu und meinte schließlich: „Vielleicht ist irgendwas auf der Erde daran schuld, hast du schon mal daran gedacht?“ Das brachte Petrus auf eine Idee. Er wollte sich in die irdischen Radio- und Fernsehsendungen einklinken und dort umhören, ob die Menschen den Grund wussten oder zumindest Vermutungen hatten. Wobei… die Menschen stellten schon seit einigen Jahrhunderten immer wieder Sachen an, die einem die Haare zu Berge stehen ließen. Jesus oder auch Noah und Lot konnten ein Lied davon singen…
Gesagt – getan. Petrus schaute und hörte gespannt die Wettermeldungen rund um den Globus. Überall kam es zu außergewöhnlich starken Abweichungen vom normalen Wetter. Die Meteorologen waren, wie erwartet, uneins, was die Ursachen anbelangte. Allerdings tauchte ein Begriff immer wieder und in allen Sprachen auf: Klimaerwärmung. Das musste Petrus eingehender erforschen! Schließlich hatte Gott ihm erklärt, dass er das Klimatron erschaffen hatte, damit die Schöpfung „Mensch“ nicht gleich wieder ausstarb, bevor sie sich zur Reife entwickelt hätte. Was genau er damit meinte, blieb sein Geheimnis.
Allerdings wusste Petrus aus den himmlischen Aufzeichnungen, dass die Welt schon früher einiges durchgemacht hatte – Kollisionen, Meteoriteneinschläge, enorme Vulkanausbrüche, Eiszeiten… Das meiste davon hätte die Menschheit schlagartig ausgelöscht. Daher reichte ihm Gottes Erklärung zu diesem Thema. Ok, so schlimm schien die Lage jetzt bei weitem nicht zu sein, aber wenn er sich die um die Welt gehenden Meldungen so ansah, hatte sich da möglicherweise etwas in Gang gesetzt, an dem die Menschen wieder mal nicht ganz unschuldig waren. Alleine die Abgase, die die Abermillionen von Fahrzeugen produzierten, die Fabriken, die die Abgase ungefiltert in die Luft entließen, konnten dem Klima auf Dauer nicht guttun! Vielleicht war das Klimatron gar nicht kaputt? Aber wenn nicht, was konnte er dann machen, um das Wetter wieder in den Griff zu kriegen? Petrus starrte auf die Barbarazweige, die in der Vase ihre Knospen bereits zu öffnen begannen, und seufzte.
Wenn es nach ihm ginge, hätte Petrus den Menschen schon gerne einen ordentlichen Denkzettel verpasst, weil sie Gottes Schöpfung so mit Füßen traten. Aber er hatte gelobt, sich um das Wetter zu kümmern, egal, wie er nun darüber dachte. Lange Zeit saß er in seinem Sessel und fuhr sich immer wieder durch den dadurch zunehmend öliger und schwärzer werdenden Bart. Er kam sich vor wie Wickie – der mit den starken Männern – ein schlauer kleiner Wikingerjunge in einer Zeichentrickserie im Fernsehen der Menschen. Der musste auch immer nach Lösungen für die Probleme seines Dorfes suchen. Vielleicht musste er ein wenig an seiner Nase rubbeln? „Haaatschiii!“ Nein, das half wohl auch nicht. Obwohl…
Auf Erden war der Nikolaustag vorübergegangen und die Menschen klagten immer noch über die unnatürliche Wärme. Wie vom Nikolaus vorausgesehen, waren viele Schokoladesüßigkeiten geschmolzen, die aus Datteln und Nüssen gefertigten Krampusse klebten hartnäckig an ihren Verpackungen und Adventstimmung kam schon gar nicht auf. Statt auf die Adventkalender starrten die Menschen jeden Tag auf die Thermometer.
Als es schon fast Weihnachten war – man schrieb den zwanzigsten Dezember – ging eine Sensationsmeldung durch die Medien: „Rätselhafter Komet rast auf die Erde zu!“ So oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen. Kein Wissenschaftler konnte das plötzliche und unvorhergesehene Erscheinen des Schweifsterns erklären. Durch die Teleskope konnte man genau den gewaltigen Schweif ausmachen – der Komet schien auf seiner Bahn enorme Mengen Wasserdampf zu verlieren. In drei bis vier Tagen würde er sich – wenn die Berechnungen stimmten – der Erde maximal genähert haben. WIE nahe das war, konnte man nicht ganz genau bestimmen – man konnte zum jetzigen Zeitpunkt eine Kollision nicht ganz ausschließen.
Im Himmel dagegen freute sich Petrus über seinen Einfall: Er hatte mit großer Mühe einen Eiskometen aus der Oort’schen Wolke in eine möglichst knapp an der Erde vorbeiführende Umlaufbahn gelenkt, um durch seinen Schweif für ein wenig Abkühlung der Erdatmosphäre zu sorgen. Der himmlische Wettermann freute sich außerdem über das perfekte Timing: Wenn er alles richtig berechnet hatte, würde von der Erde aus gesehen am nördlichen Nachthimmel am Weihnachtsabend eben dieser Komet zu sehen sein. Vielleicht – nein, sogar sicher – würden die Menschen das als ein himmlisches Zeichen werten – und hoffentlich ein bisschen zur Besinnung kommen. Wenn DAS nichts half, wusste er auch nicht weiter.
Am Morgen des Weihnachtstages war es auf Erden tatsächlich etwas kühler geworden, wenn auch nicht so sehr, wie von Petrus erhofft. Das Klimatron arbeitete auf Hochtouren, alle Himmelsbewohner starrten mit gebannter Aufmerksamkeit auf die Erde. Von dieser aus starrten wiederum unzählige Menschen in den Himmel – voll Staunen, Ehrfurcht – und – ein wenig Angst. Einerseits sahen die Christen (und auch viele Menschen anderer Religionen) es als ein göttliches Zeichen an, andererseits wäre es aber auch durchaus möglich, dass Gott ja vielleicht die Nase von ihnen voll hatte und der Komet ja doch einschlug. So vergingen die Stunden. Gegen acht Uhr abends schlug das Wetter um: die Temperatur fiel um sage und schreibe 21°C! Die Menschen flüchteten in ihre Häuser und starrten von dort aus weiter in den Himmel.
Und dort spürte Petrus eine Hand, die sich auf seine Schulter legte… „Ach, mein armer braver Wächter! Ich hätte eher zurückkehren sollen. Aber deine Idee gefällt mir! Du konntest ja nicht wissen, dass der göttliche Funke aus dem Klimatron entwichen ist und damit die es antreibende Kraft. So konnte es der steigenden Belastung durch die vielen Schadstoffe, die die Menschen seit neuestem in die Luft blasen, nicht standhalten. Der Komet alleine schafft es wohl auch nicht – aber ich habe erneut ein Fünkchen meines Selbst in die Maschine eingesetzt – ich will sehen, wie die Menschen weitermachen! Und jetzt… Gott wischte mit einer Hand über die Wolken und auf Erden begann es in allen Gegenden, in denen es zu dieser Zeit üblich ist, zu schneien.
Komet hin oder her – die Menschen liefen ins Freie, hoben die Hände zum Himmel – und freuten sich. Von überall her hörte man in vielerlei Sprachen: „Frohe Weihnachten!“, „Christ ist geboren“, „Ehre sei Gott in der Höhe“… Und immer mehr Stimmen tönten: „Seht, der Komet!“, „Es ist ein Wunder!“ „Gott hat uns nicht verlassen!“ Denn hoch oben am Himmel leuchtete der Komet zwischen den wirbelnden Schneeflocken, und dazwischen tanzen auch immer wieder einige in allen Farben schimmernde Kügelchen zur Erde, um auf dem nassen Boden zu vergehen…
erzählt von Selune A.D. 1013
“ denn Gott3 war vor einigen Jahrhunderten zu einer Inspektionstour durchs Universum aufgebrochen und bislang nicht wiedergekehrt.“
Das erklärt vieles.
Wer weiß, was wir für Wetterkapriolen hätten, wenn der Mensch das Wetter machen könnte. Bei mir wäre es am Tag, wenn ich arbeiten gehe, immer trocken und Windstill. Nachts und an Arbeitsfreien Tagen würde es ab und zu regnen, aber nicht zu viel, und die Temperaturen würden zwischen +15 und +22 Grad schwanken. Und Schnee gäbe es nur dort, wo er hingehört – auf den Feldern und in den Wintersport-Gegenden. 🙂
Danke für die schöne Geschichte. Ich wünsche Allen einen schönen 3. Advent.
Eine zum Nachdenken anregende Weihnachtsgeschichte . Es schadet uns Menschen nicht , immer wieder auf unseren Anteil am Wettergeschehen hingewiesen zu werden , vielen lieben Dank dafür an Selune ☺🕯🕯🕯❄.