Spedition Kringel
Heute war der vierundzwanzigste Dezember. Herr Joachim Kringel war ein Speditions-Unternehmer und hätte es nicht notwendig gehabt, an einem Tag wie diesem auszufahren. Aber einige Firmen wollten heute noch beliefert werden und da er ein guter Chef war, hatte er seinen Angestellten mit den Worten – „Was soll’s. Ihr habt alle Familie! So viel ist nicht zu tun, das schaff ich locker alleine! Fröhliche Weihnachten alle miteinander!“ – frei gegeben. Er selbst hatte keine Familie und feierte dieses Fest gar nicht, sonst wäre er traurig geworden – was aber nicht heißen soll, dass er es nicht gefeiert hätte, wenn er eine Frau und Kinder gehabt hätte. Manches Mal dachte er wehen Herzens an seine Kindertage, wo er dem Heiligen Abend mit Ungeduld entgegengefiebert hatte.
Es war halt, wie es war, er war schon auf dem Heimweg und es hatte langsam zu dämmern begonnen. Plötzlich, er wagte seinen Augen nicht zu trauen, sah er am Straßenrand einen Mann im roten Anzug winken. Er hatte auch eine rote Mütze mit einem weißen Bommel auf, ja, es war eindeutig ein Mann im Weihnachtsmannkostüm. Er hielt an und fragte, ob er irgendwie helfen könnte. Der Mann erzählte ein wenig aufgeregt, was ihm widerfahren war, und deutete auf das Feld, neben dem sie standen.
„Mir ist der Schlitten auseinandergebrochen. Einige größere Kartons mit Geschenken liegen verstreut auf dem Acker – es ist ein Glück, dass keiner aufgegangen ist, Comet hat sich ein Stück von seinem Geweih abgebrochen und Prancer und Blitzen haben sich bei der harten Landung das Bein verstaucht.“
Erst jetzt merkte Joachim, dass am Waldesrand einige Rentiere standen.
„Du nimmst es aber sehr genau!“
„Wie meinst du das?“
„Na, das mit dem Weihnachtsmann. Die meisten begnügen sich mit einem falschen Bart, einem Sack und dem roten Gewand. Aber du? Schlitten, Rentiere – woher hast die überhaupt?“
„Oh. Verzeih mir, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Gestatten, Chris Kringle, Weihnachtsmann.“
„Man könnte es fast glauben…“, entgegnete Joachim. Da fiel ihm auf, dass er ja auch Kringel hieß. So ein Zufall.
„Jetzt muss ich mich aber auch vorstellen – mein Name ist Joachim. Joachim Kringel. Wie du siehst, haben wir denselben Nachnamen. Das ist doch lustig, oder etwa nicht? Vielleicht sind wir sogar verwandt! So oft gibt es diesen Namen ja nicht.“
„Das glaube ich weniger. Aber sei es, wie es sei. Ich nehme deine Hilfe gerne an. Ich kann sie brauchen.“
„In diesem Fall muss ich dir ja helfen! Wann trifft man schon jemanden, der denselben Namen hat!“, sagte er lachend. Dann kratzte sich Joachim am Kopf und dachte nach.
„Zuerst musst du mir sagen, wie ich dir helfen kann und wo du hinwillst. Wir sollten jetzt einmal die ganzen Packerln einsammeln, solange es noch ein wenig hell ist, sonst finden wir dann gar nichts mehr.“
„Auch Chris Kringle dachte ein Weilchen nach, dann sagte er:
„So machen wir das. Wir sammeln ein und räumen gleich alles in deinen großen Lastwagen. Wir müssen uns beeilen, ich habe schon eine Menge Zeit durch diesen blöden Unfall verloren. Du wirst dich wundern. wo du heute noch überall hinkommen wirst! Eine Weltreise wirst du machen! Ho, ho, ho!“
Jetzt lachte der Weihnachtsmann so sehr, dass er sich den dicken Bauch halten musste. Dann fiel ihm noch etwas ein:
„Sag Joachim, ich darf doch Joachim zu dir sagen, musst du gar nicht nach Hause? Ich darf dich doch nicht so lange aufhalten an einem Tag wie diesem!“
„Passt schon. Auf mich wartet niemand. Ich habe viel Zeit und wenn ich dir helfe, mache ich wenigstens etwas Vernünftiges und warte nicht, bis diese Nacht vorbei ist! Aber – was meinst du mit Weltreise?“
„Das wirst du alles sehen. Komm, hilf mir!“
Dann begannen sie die Pakete einzusammeln. Joachim wunderte sich, dass sie im Verhältnis zu ihrer Größe so schwer waren. Er war jetzt richtig ins Schwitzen gekommen. Er sah Chris an und wunderte sich, dass er sich sichtlich leichter tat als er, obwohl dieser um einiges älter war. Dann fragte er:
„Was ist eigentlich in den Schachteln drinnen? Sie sind ja megaschwer!“
„Na was wohl! Geschenke! Geschenke und nochmals Geschenke!“
Der Spediteur runzelte die Stirne.
„Wie Geschenke…? Ist da Blei oder Graphit drinnen?“
„Ach, das erkläre ich dir, wenn es soweit ist.“
Joachim überlegte kurz, ob er auch noch genug Sprit im Tank hatte und wo er jetzt noch auftanken könnte.
„Mach dir darüber keine Gedanken. Mit meiner Methode ist das nicht notwendig. Nur keine Sorge!“
‚Kann der Gedanken lesen? Jetzt wird er mir unheimlich‘. Dachte er bei sich. ‚Und was heißt ‚mit meiner Methode…‘ Er ist schon ein komischer Vogel‘.
Als alles verstaut war, rief der Weihnachtsmann seine Rentiere. Joachim staunte gar nicht mehr, dass sie wirklich kamen. Dann begann Chris mit ihnen zu reden. Und Joachim begann sich immer mehr zu wundern.
„Hör mal, Donner. Du kennst den Weg zurück nach Hause. Mit dem kaputten Schlitten schaffen wir nichts. Sei nicht traurig. Führ‘ alle sicher heim, ich verlasse mich auf dich!“
Er verabschiedete sich von jedem einzelnen, redete ihnen gut zu und streichelte sie. Zu guter Letzt gab er noch jedem eine Karotte, das war ein wahrer Leckerbissen für sie, dann griff er in seinen Sack und holte ein kleineres Säckchen heraus. Chris griff hinein und hatte eine Handvoll silbernen Staub in der Hand. Dann murmelte er:
„Das müsste eigentlich bis heim reichen…“, und während er das sagte, streute er den feinen Sand über die Rentiere und im selben Augenblick erhoben sie sich in die Luft und waren auch schon im Äther verschwunden.
„Das glaub ich jetzt nicht, nein, das kann nicht sein, ich bin eingeschlafen und träume, so etwas gibt es ni….“
„Kommst du jetzt? Wir können nicht ewig warten. Es gibt noch viel zu tun! Ich hab‘ dir doch gesagt, wer ich bin – wenn du mir nicht glaubst… selber schuld.“
Joachim rieb sich die Augen. Nein er träumte nicht. Da lag auch noch der zerbrochene Schlitten. Zögernd fragte er:
„Und was machen wir mit dem?“
„Den lassen wir verschwinden.“
Der Weihnachtsmann holte ein anderes Säckchen hervor. Nahm wieder etwas, diesmal weißen Staub, heraus und als er ihn über den kaputten Schlitten warf, war dieser in Nu verschwunden.
„Weißt du Joachim, man muss in meinem Geschäft auf alles vorbereitet sein, sonst könnte es einmal ein schlimmes Ende nehmen. Das wäre nicht in meinem Sinne.“
„Jaaa“, der Spediteur war verwirrt. Er dachte sich: ‚wenn ich das jemals jemandem erzähle, komm ich in die Klapse.‘
„Und wie soll das jetzt mit dem Auto gehen? Die Zeit wird uns zu kurz werden. So schnell wie die Rentiere bin ich nicht. Außerdem – wo sind die Geschenke? Die paar Päckchen reichen doch nicht für so viele Kinder! Mein Wagen ist doch ganz leer!“
„Gut, dass du mich daran erinnerst. Komm mit. Ich zeig es dir.“
Bei diesen Worten zog er Joachim mit sich fort. Dann griff er wieder in seinen Sack und holte noch ein Säckchen heraus. Diesmal war goldener Staub drinnen.
„Pass gut auf! Wenn ich über eine Schachtel diesen Staub streue, öffnet sie sich und du wirst sehen, mit einem Male ist dein ganzer riesiger Transporter voll mit Geschenken! Du hast doch nicht geglaubt, dass ich in meinem Schlitten die Geschenke für alle Kinder habe! Das geht sich doch nie aus! So viel Platz habe ich nicht. Ich werde übrigens hier hinten bleiben, damit ich die Geschenke richtig abwerfen kann.“
Staunend sah Joachim zu, wie der Weihnachtsmann die erste Schachtel bestreute und wie sich daraus ein nicht enden wollender Strom von Geschenken ergoss. Und Chris hatte recht gehabt: die ganze Ladefläche war voll.
„Und in den anderen Schachteln ist auch so viel drinnen?“
„Jawoll.“
„Und wohin soll ich jetzt als Erstes fahren?“, kam es fast zaghaft von Joachims Lippen.
„Kümmer‘ dich nicht darum! Wenn ich etwas von meinem silbernen Flugstaub in deinen Tank gebe, geht alles von alleine! Und wir sind schnell wie der Wind! Du brauchst nur zu starten und schon geht’s los. Ja. Wenn‘s wieder hinunter geht, wär‘ bremsen auch nicht schlecht.“
„Und wenn uns wer sieht? Ein Tieflader in der Luft – das ist selten.“
„Wir sind so schnell, keiner wird uns wahrnehmen!“
Als der Flugstaub im Tank des Lasters war, ging es endlich los. Joachim startete und schon erhob sich der riesige Brummi in die Luft. Jetzt ging es schnell dahin. Ihm wurde fast schwindlig von dem rasanten Tempo. Im Rückspiegel sah er, wie der Reihe nach die Geschenke aus dem Wagen flogen – es sah fast so aus, als ob ein Komet über den Himmel flog und seinen Schweif hinter sich herzog. Von Zeit zu Zeit hörte er den Weihnachtsmann lachen, und sein hooo – hooo war weithin zu hören. Joachim wunderte sich über gar nichts mehr. Auch nicht darüber, dass aus seinem Laster unendlich viele Geschenke flogen. Er verspürte fast Lust, auch ein fröhliches ‚Hooo–Hooo‘ ertönen zu lassen. Aber das überließ er lieber Chris.
Es kam ihm gar nicht so lange vor, als das Auto zur Landung ansetzte. Die Reifen berührten den Boden und Joachim bremste, was das Zeug hielt, ganz wie es ihm der Weihnachtsmann gesagt hatte. Alles war gut gegangen. Als Chris aus dem Wagen kletterte, lachte er noch immer.
„Das hat mir aber gefallen. Danke dir, Joachim. Du hast mir sehr geholfen – ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte. Du warst einfach großartig! Hier. Zum Dank gebe ich dir ein Säckchen mit dem silbernen Staub. Wenn du einmal keinen Treibstoff mehr hast, gib ein, aber wirklich nur ein, Körnchen davon in den Tank, und du kannst weiterfahren. Das ist mein Geschenk an dich. Du bist jetzt sozusagen Hilfs-Weihnachtsmann! Wenn ich wieder einmal deine Hilfe brauche, werde ich mich ganz bestimmt an dich wenden! Es hat richtig Spaß gemacht mit deinem Laster! Und jetzt lebe wohl, vielleicht habe ich ja wieder einmal eine Panne. Ich muss nun heim und mich um meine Rentiere kümmern.“
Bei diesen Worten warf er sich selber etwas Flugstaub über den Kopf und war im gleichen Moment verschwunden.
Zuerst dachte Joachim, dass das alles nur geträumt war, aber dann sah er wieder das Säckchen mit dem silbernen Staub und da wusste er, dass alles wirklich geschehen war. Aber den Flugsand hat er nie verwendet.
erzählt von Soreylia A. D. 2013
Der Staub fürs Tanken wäre wohl der Renner bei den Spritpreisen 😉🤣,insgesamt eine sehr schöne Adventsgeschichte ,vielen Dank an Selune 👍☺🕯🕯
Bei dieser Geschichte habe ich auch gleich an Betti gedacht. Der Herr Kringel hat den Flugsand ja nicht aufgebraucht, also….
Ich staune einfach immer wieder über die fantasievollen Einfälle. 👍 Danke! 🌟
Ja, den Flugsand hätte ich heute gut brauchen können. Eines meiner Dörfer ist „von der Außenwelt abgeschnitten“ und nur zu Fuß zu erreichen. Bei dem Schlamm macht da ein „Spaziergang“ doppelt Spaß. ;-( Dementsprechend sieht man dann auch aus…
Kriss (Chris) Kringel erinnert mich an den Weihnachtsfilm „Das Wunder von Manhatten“ wo Richard Attenborough den Weihnachtsmann spielt. Ein sehr schöner Film 🥰👍🕯!
Die Geschichte ist ganz toll erzählt. So‘n bisschen „Gold- und Silberstaub“ wäre schon eine tolle Sache 😉.
Einen schönen zweiten Advent-Abend allen Steinfans 👋
Ach, so ein Säckchen goldenen Staub hätte ich auch gern, da wäre ich viel schneller bei der Arbeit: ein Paket ins Auto laden, etwas Gold-Staub drüber gestreut und die Pakete sind von selbst im Auto und noch der Reihe nach sortiert… Es könnte so schön sein.
Vielen Dank für die schöne Geschichte.
Jemand Namens Kringel habe ich nicht auf meiner Tour. 😉
Ich wünsche Allen einen schönen 2. Advent.
Wie schön und kitschfrei. Da wünsche ich mir dieses Jahr so ein Säckchen silbernen Staub.
Ich hoffe, liebe Selune, das Soreylia dir noch viele solcher wunderbaren Geschichten hinterlassen hat. Danke für das veröffentlichen.
Vielen lieben Dank für die so herzliche und fantastische Weihnachtsgeschichte , liebe Selune.
Einen frohen zweiten Advent wünsche ich allen aus dem wieder sonnigen Leipzig!