Weihnachtsgeschichte 3_2022

Die drei Christbäume

Doktor Sallmann kam fröhlich ins Krankenzimmer von Frau Drapesch. Kein sorgenvoller Blick, einfach nur Strahlen.

„Was ist denn mit ihnen heute los?“ wollte die Patientin wissen, „sie lächeln, dass es einem die Augen blendet!“

„Gute Nachrichten, Frau Drapesch! Ihre Werte sind seit ein paar Tagen stabil und wir können sie ruhigen Gewissens nach Hause entlassen! Was sagen sie dazu?“

„Fein. Wann denn?“

„Ein echtes Weihnachtsgeschenk. Am 24. Dezember!“

„Na, ob das so ein schönes Weihnachtsgeschenk ist? Es ist ja nichts gemacht! Kein Gebäck! Keine Kekse, kein Strudel! Kein Christbaum! Heilige Maria! Das wird ein Tag!“

„Aber nicht doch!“, antwortete der Arzt fröhlich, „sie haben immerhin drei erwachsene Kinder, die werden ihnen doch wohl ein schönes Fest bereiten können!“

„Ach, was wissen denn Sie! Die sind ja so blöd. Streiten seit Jahren herum und seit einiger Zeit reden sie nicht einmal mehr miteinander. Es ist zum Heulen. Ich glaube, die wissen gar nicht mehr, warum sie sich so in die Haare bekommen haben – ich weiß es jedenfalls nicht mehr!“

„Und da ist gar nichts zu machen?“

„Die sind ja alle so stur – und mir zerreißt es das Herz.“

Der Arzt setzte sich zu Frau Drapesch ans Bett und dachte nach. Da musste es doch etwas geben…  Nach einer Weile hatte er eine Idee und die alte Dame war begeistert. So könnte es gehen.

Zu Mittag kam Ulla, ihre Tochter, zu Besuch. Sofort erzählte sie ihr die Neuigkeit. Diese freute sich aufrichtig und sagte gleich spontan:

„Mama! Das ist ja super! Weißt du, was wir machen? Wir verlegen unsere Weihnachtsfeier zu dir – da brauchst du nicht alleine sein, denn weggehen darfst du noch nicht – du musst dich schonen. Keine Sorge! Wir kümmern uns um alles! Den Schlüssel habe ich ja vom Blumengießen. Mach dir keine Sorgen, es wird ein herrlicher Weihnachtsabend! Sollen wir dich abholen? Erwin hat zwar das Auto, aber er muss leider bis zum Nachmittag arbeiten. Wir können ja mit dem Taxi fahren!“

„Mach dir keine Umstände, ich fahre mit dem Roten Kreuz nach Hause. Ist schon alles ausgemacht. Mir wäre es viel lieber, wenn du schon in der Wohnung wärst, wenn ich komme.“

„Das geht okay, Mutter. Dann – bis zum Vierundzwanzigsten!“

Ohne etwas dazu tun zu müssen, hatte Teil eins des Planes geklappt.

Schnell verabschiedete sich die Tochter, immerhin war schon der zweiundzwanzigste Dezember und wirklich noch viel zu tun. Eilig verließ sie das Krankenhaus und merkte nicht, dass sie beobachtet wurde. Ihr Bruder Severin hatte sich im Schutze der großen Tanne, die vor dem Spital aufgestellt war, versteckt und wartete dort, bis die Schwester gegangen war. Er wollte ihr nicht unbedingt über den Weg laufen.

Auch er freute sich, dass Mutter nach Hause durfte. Noch bevor ihr Sohn etwas sagen konnte, kam ihm Frau Drapesch zuvor und meinte:

„Eine große Bitte hätt‘ ich an dich. Kannst du mir ein bisserl was einkaufen für die Feiertage? Das wäre ganz lieb von dir. Dass ich nicht so ohne Allem dasitze zu den Feiertagen. Sonst brauchst du dir keine Sorgen zu machen, ich komm schon zurecht. Wir können ja telefonieren! Nächstes Jahr feiern wir dann wieder zusammen! Aber heuer würde das viel zu stressig sein. Du hast ja eine große Familie und müsstest alle Pläne über den Haufen werfen!“

Sie zählte einige Dinge auf, die sie unbedingt haben wollte und setzte noch hinzu:

„Ja, und bitte heize mir ein! Die Wohnung ist sicher total ausgefroren. Mach das aber vielleicht schon morgen, dass sich alles schon ein bisschen aufwärmt. Hier hast du meinen Wohnungsschlüssel.“

„Und wie kommst du heim?“, wollte Severin noch wissen.

„Ach, der Rettungsdienst wird mich bringen… ich habe ja schließlich noch einen Ersatzschlüssel dabei.“

Alles war ausgemacht und Severin machte sich auf den Weg. Frau Drapesch kicherte ein wenig. Auch Teil zwei des Vorhabens hatte funktioniert.

Am Abend kam dann der andere Sohn um nach der Mutter zu schauen. Flo, eigentlich Florian, war der Jüngste der Geschwister und hatte noch keine Familie. Eine recht nette Freundin, aber da war noch nichts ganz Festes, außer fürchterliche Schmetterlinge im Bauch. Er verstand den Zank zwischen Ulla und Severin gar nicht, hatte für niemanden Partei ergriffen, weil er es blöd fand, aber genau deshalb war er letztendlich Zielscheibe arger Vorwürfe von den beiden Streithansln geworden. Seither – Funkstille. Aber er war mit der Gründung seines Hausstandes so beschäftigt, dass er es immer wieder verschob, mit beiden zu reden.

Als ihm die Mutter sagte, dass sie am Heiligen Abend nach Hause kommen werde, freute er sich maßlos. Aber im selben Moment dachte er, dass es schön wäre, wenn er diesen Abend bei Mutter verbringen würde. Seine Freundin Beate feierte mit ihren Eltern, und so weit waren sie noch nicht, dass er im Kreise ihrer Familie mitgefeiert hätte. Es war okay und verletzte ihn nicht. Obwohl – er hatte sie schon so lieb, dass er manches Mal über ein Leben mit ihr nachdachte. Flo war sich eigentlich sicher, dass Beate die Richtige für ihn wäre – wozu hätte er sonst den zarten goldenen Ring gekauft, den er die ganze Zeit mit sich herumtrug?

„Mama, ich werde mit dir feiern. Da sind wir beide nicht allein.“, sagte er spontan. „Holt dich wer ab?“

Mit ‚wer‘ meinte er natürlich eines seiner Geschwister und die Mutter sagte darauf:

„Auf’s Rote Kreuz ist immer Verlass! Ich freu mich schon auf unseren Heiligen Abend!“

 Wie gut, dass ich auch den Ersatzschlüssel mitgenommen habe, dachte sie sich, man weiß nie, wofür’s gut ist…

Sie übergab ihrem Sohn den Schlüssel und sagte ihm, was er doch bitte machen sollte.

Am dreiundzwanzigsten Dezember ging Ulla, gleich nachdem ihre Tochter Monika von der Schule gekommen war, zur Mutter in die Wohnung. Sie machten alles sauber, überzogen das Bett frisch und schauten, dass alles in Ordnung war. Einheizen wollte sie auch, aber sie kannte sich mit dieser Technik nicht aus. Das ärgerte sie sehr.

Erwin hatte schon zu Mittag den Christbaum vor die Türe gestellt und nun putzten Mutter und Tochter den Baum auf. Es dauerte schon eine Weile, aber dann standen sie stolz vor ihrem Werk. Aber Ulla machte gleich weiter. Suppe für morgen kochen und auch alles Andere vorbereiten. Inzwischen packte Monika alles aus, was sie mitgebracht hatten. Kekse und Strudel, die Weihnachtsgans kam in den Kühlschrank, Saft und Wein und natürlich die Geschenke. Heuer war alles anders – aber Monika freute sich schon sehr auf ihre Omi.

Wie erschraken sie, als sie jemanden an der Türe herummachen hörten. Ulla bewaffnete sich mit dem Nudelwalker und ging gefährlich in Stellung, während sich Monika in der Küche versteckte. Die Türe ging auf und da stand – Severin. Mit drei Einkaufstaschen in der einen, und einem kleinen Christbaum in der anderen Hand.  Sie starrten sich kurz an, dann sagte er:

„Was machst denn du da?“

„Dasselbe könnte ich dich fragen! Aber du weißt schon, dass du mir jetzt einen riesigen Schrecken eingejagt hast.“

„Das wollte ich nicht, aber wenn eh du da bist, kann ich ja wieder gehen.“

„Jetzt sei nicht komisch. Warum bist du hier?“

„Ich war die Mama besuchen und sie hat mich gebeten… dass ich für morgen etwas einkaufe für sie, und einheize, dass sie es nicht kalt hat an ihrem ersten Tag zu Hause. Jetzt hatten wir vor, sie zu überraschen und hier zu feiern, damit sie nicht alleine ist. Aber…“

Ulla sah ihren Bruder an.

„Was sind wir doch für Dummköpfe! Komm setz dich her zu mir. Begraben wir diesen blöden Streit, wir haben schon viel zu viele Jahre verloren! Warum feiern wir nicht alle miteinander Weihnachten? Hier bei Mutter? Mit deiner Hilde und den Buben – ja, und Flo müssen wir auch anrufen! Ich glaube ein schöneres Geschenk können wir unserer Mama nicht machen.“

Severin ging einige Schritte auf Ulla zu und nahm dann seine Schwester spontan in die Arme.

„Du hast recht“, sagte er gerührt, „wir sind wirklich dumm. Ich rufe gleich Flo an. Bin gespannt, was er dazu sagt. Und die Hilde ruf ich auch gleich an.“

Langsam kam Monika aus der Küche.

„Onkel Severin?“

„Ja! Onkel Severin! Mach dich auf eine bombige Feier morgen gefasst! Deine Cousins kommen auch! Da wird dir nicht fad werden. Felix und Ludwig sind aufgeweckte Burschen!“, sagte er lachend. Auf’s Einheizen vergaß er in diesem Freudentaumel.

Als Severin die Nummer von Florian wählte, hörte man ein leises Handyläuten vor der Wohnungstür. Er meldete sich und traute seinen Ohren nicht.

„Severin??? Was, ähh… was… ist…???“

„Hey, du musst sofort zur Mutter in die Wohnung kommen! So schnell wie nur irgend möglich! Geht das?“

„Ja, was ist denn passiert?“

„Komm einfach! Bitte!“

Entweder ist er übergeschnappt, oder es ist ein Wunder geschehen.

„Bin schon da.“

Mit diesen Worten legte er auf und öffnete die Wohnungstür. Alle starrten ihn an. Wie hat er denn das gemacht? Er deutete die Blicke richtig und sagte:

„Schnell wie der Wind, wie immer.“

Also doch ein Weihnachtswunder, ging es ihm durch den Sinn.

„Was geschieht hier? Gemeinsame Weihnachtsvorbereitungen? Das ist einmal ein Wort. Seid ihr endlich zur Vernunft gekommen – übrigens – ich habe Mutter versprochen, mit ihr Weihnachten zu feiern. Ich würde dieses Versprechen gerne halten, wenn ihr nichts dagegen habt? – Kalt ist es hier. Wie wär’s mit einheizen?“

Dann sah er auf die beiden Christbäume und sagte grinsend:

„Naja, dann werde ich meinen auch dazustellen…“

Er holte sein Bäumchen herein und nun standen drei Christbäume im Raum. Alle mussten lachen und jeder dachte für sich, wie schön es doch sei, sich wieder zu vertragen. Flo erzählte von seiner Freundin, Hilde kam mit den Buben auch dazu und mit vereinten Kräften wurde vorbereitet, Bäumchen geputzt und geplaudert. Zum Abschluss saßen sie noch beisammen tranken eine gute Flasche Wein und der Streit vieler Jahre war mit einem Male wie weggeblasen. Als ob er nie stattgefunden hätte. Viel später rief noch Flo’s Freundin an, und versprach auch noch zu kommen und als sie da war, strahlte sie ihn an:

„Das ist aber schön! Jetzt lerne ich endlich meine Familie kennen!“

Dass Beate ‚meine Familie‘ sagte, nahm nur Flo wahr und sah sie groß an. Sie lächelte verliebt und zwinkerte ihm zu.

„Und wenn ich darf, tät‘ ich gerne mit euch morgen feiern. Meine Eltern haben gesagt, das wäre eine schöne Gelegenheit, alle kennenzulernen.“

 Natürlich war es allen recht. Beate hatte eine so liebenswerte Art, dass sie die Herzen aller im Sturme eroberte.

Heiliger Abend. Es wurde gekocht, Tisch gedeckt, Severin hatte noch einen Campingtisch mitgebracht, weil ein gewisser Platzmangel herrschte, bei so vielen Personen kein Wunder. Als das Rote Kreuz klingelte und die Mutter brachte, war eigentlich alles fertig. Bevor der Sanitäter die Mutter hereinbrachte, sagte er noch zu ihr:

„Anhalten, die Christkinderln sind da! Und sooo viele noch dazu!“

Automatisch füllten sich die Augen der alten Frau mit Freudentränen. Ihr Plan, eigentlich der Plan von Doktor Sallmann, war aufgegangen. Langsam betrat sie das Wohnzimmer, wo alles vorbereitet war und sah glücklich von einem zu anderen. Alle waren sie da.

Es war zwar erst Nachmittag, aber die Christbäumchen wurden entzündet und die Bescherung wurde vorgezogen.

Frau Drapesch saß in ihren weichen Sessel und genoss die Feier. Severin beugte sich zu ihr hinunter und sagte leise:

„Mutter, das hast du gut gemacht. Danke.“

„Das war das Christkind, mein Lieber. Aber – habt ihr mit den vielen Bäumchen nicht ein wenig übertrieben?“

„Tja, das hat sich so ergeben. An das hatte das Christkind nämlich nicht gedacht. Dass jeder einen Baum mitbringen wird!“

Frau Drapesch musste schmunzeln. Daran hatte sie wirklich nicht gedacht.

Natürlich wussten alle, dass es Mutters Werk war, dass sich alle wieder verstanden. Deshalb wurde auch noch lange gefeiert, es gab ja so viel zu erzählen. Nur Flo und Beate verschwanden für kurze Zeit im Vorzimmer und hatten dann auch noch eine Überraschung bereit. Ganz altmodisch verlobten sie sich vor der ganzen Familie und alle mussten sich eingestehen, dass die Beiden gut zu einander passten. Ab diesem Tag glänzte ein zarter goldener Ring die Hand der jungen Frau.

Als dann alle gegangen waren, musste jeder für sich gestehen, das war das allerschönste, friedlichste Weihnachtsfest, das sie je erlebt hatten.

erzählt von Soreylia 2013 A.D.

9 Kommentare on “Weihnachtsgeschichte 3_2022

  1. Wieder eine rührende Geschichte. Aber wie oft passiert das wirklich? Meist muß doch erst jemand sterben bis sich die Familie wieder annähert, oder sehr viele Jahre vergehen…
    Ich wünsche Euch eine schöne Adventszeit.

  2. Ja, mit dem iPhone klappt es – aber mit dem MacBook leider nicht. Dort kann ich viiiel schneller tippen. Na, egal. mal so, mal so.
    Schöne Grüsse an alle – gleich gibt es Käse-Fondue. 🐭

  3. Liebe Renata,

    die Sache mit den Emojis klappt ganz gut. 😊😀👍
    Ich tippe auch immer mit meinem „angebissenen Apfel“ und es tut. 😬😂
    Wie ich sehe 😳👀klappt es jetzt auch bei dir. 😀👍

    Nach einem Spaziergang im Schnee ❄️ kommt jetzt der gemütliche Teil im warmen Wohnzimmer 🥰.

    Liebe Grüße an euch alle. 🍀🕯🕯🕯❄️🥰👋

  4. Wie schön, ein paar Flocken aus Soreylias Wolke, da hat Gerd ja wieder richtig vermutet. Und eine schöne Geschichte. Ich freue mich schon auf die nächste. Soreylia hätte ein Kinder-/Jugend-/Lebensweisheit-Buch auflegen können. Manchmal wirken schon kleinste Denkanstöße.
    Ob mit oder ohne Weihnachtsmarkt oder Flocken:
    Schönen, friedlichen AdventsSonntag!

  5. Wieder eine sehr schöne Geschichte. 😀🥰👍
    Eine Geschichte die zum nachdenken anregt. 🤔💭
    Wenn es nur im normalen Leben auch so einfach wäre. 😳🧐

    Ich Wünsche euch allen einen schönen dritten Advent. 🕯🕯🕯

    Hier der erste Schnee ❄️ 🌨in diesem Jahr. 🥰

    1. Ich will mal wieder testen, ob ich nicht doch auch Kommentare mit Emojis posten kann…🎄🌨🎄☃️❄️🎄🌟 (vom iPhone). Nun bin ich gespannt…🐭

  6. Na, da wird es ja bald wieder schneien. Wir denken alle an Soreylia, sie bekommt davon Schluckauf auf ihrer Wolke und durch diese Erschütterungen werden sich die Flocken lösen und auf uns herunter rieseln…
    Schöne Geschichte, einen lieben Gruß nach oben…

  7. Bei uns auf der Arbeit gab es heute genau dieses Thema. Dass es immer die Mütter sind, die die Familien zusammenhalten. Und dass sie leider oftmals auseinanderbrechen, wenn Mutti nicht mehr da ist. Ein Dank an alle Muttis, die so vieles für uns tun oder getan haben. Und herzlichen Dank auch für die wie immer schöne Geschichte, die zum Nachdenken anregen sollte: Kümmert euch um eure Familie! Die ist sooo wichtig!
    Euch allen einen schönen dritten Advent.🕯🕯🕯

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