Vergelt’s Gott

Es war empfindlich kalt geworden und Elias ging frierend durch die engen Straßen der Innenstadt. Was war nur passiert in seinem Leben? Es war für ihn, als ob sich eine unüberschaubar hohe Wand vor ihm aufgebaut hätte über die er nicht hinwegkam, ja über die er nicht einmal darüber sehen konnte und die ihn am Weitergehen hinderte. Er hatte seinen Job verloren und es noch nicht einmal seiner Frau gesagt. Er geißelte sich und schalt sich einen verdammten Feigling, weil er es nicht übers Herz brachte, mit Lore darüber zu sprechen. ‚Ein Versager bin ich – und das wird Lore auch von mir denken, wenn sie es erfährt. Noch nicht. Aber bald ist Weihnachten – wie werde ich ihr das erklären? Das wenige Geld, das ich noch hatte, ist aufgebraucht und nun sollte ich für Tommi das Weihnachtsgeschenk kaufen und jetzt laufe ich hier herum und weiß nicht, was ich machen soll. Lieber Gott, hilf mir!‘

Diese Bitte an den lieben Herrgott war zuerst zwar anders gemeint, aber als er an der kleinen Kirche vorbei ging, keimte ein ganz böser Gedanke in seinem verzweifelten Gehirn. ‚Der Opferstock. Da ist sicher genug drinnen und die Kirche ist eh so reich. Ich mach es ja nicht gerne – aber der liebe Gott weiß ja, in welch schlimmen Lage ich mich befinde‘.

Ohne lange nachzudenken trat er ein. Ein bisschen mulmig war ihm jetzt schon, aber er hatte diesen Entschluss gefasst…
Es war recht still in diesem Gotteshaus und mit ein wenig weichen Knien ging er auf den Opferstock zu, stellte sich daneben auf und wartete. Er hörte nämlich hinter sich leise Schritte und da konnte er sich doch nicht am Opferstock zu schaffen machen. Eine ältere Frau war eingetreten und warf eine Spende in den Schlitz. Wie aus dem Nichts ertönte eine freundlich milde Stimme:
„Vergelt’s Gott!“
Das Mütterchen bekreuzigte sich andächtig und antwortete:
„Gelobt sei Jesus Christus.“
„In Ewigkeit amen!“, kam es von dem Priester zurück.

Elias lief die Gänsehaut über den Rücken. Er wäre am liebsten davongelaufen. Aber das sah auch blöd aus. Er hoffte, dass er bald alleine sein würde, denn er fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Die Frau zündete noch ein Andachtslicht bei der heiligen Muttergottes an und nach einem kurzen Gebet ging sie wieder.
Elias sah sich vorsichtig um, aber schräg hinter ihm stand noch immer der Gottesmann. ‚Warum geht der nicht? Weiß er etwa, was ich vorhabe? Steht mir das im Gesicht geschrieben?‘
Obwohl ihm gerade noch kalt gewesen war, begann er jetzt zu schwitzen und der Hemdkragen schien immer enger zu werden. ‚Ich muss da raus!‘
Aber gerade, als er diesen Entschluss gefasst hatte, kam der betagte Priester die wenigen Schritte, die die beiden voneinander trennten, auf ihn zu. Jetzt stand er zwischen ihm und dem Opferstock. Wieder hörte er, wie ein paar Münzen hineinfielen.
„Vergelt’s Gott!“


Er begann über die Bedeutung der Worte nachzudenken. ‚Vergelt’s Gott. Wie schön sich das eigentlich anhört. Was heißt das? Dass Gott die gute Tat vergelten wird. Was geschieht dann mit den Leuten, die nichts Gutes tun? Die werden wohl bestraft…‘
Elias wollte gar nicht darüber nachdenken, aber es geschah ganz von alleine. ‚Ich werde jetzt gehen‘, dachte er entschlossen. Doch als er sich zum Gehen wendete, sah ihm der Priester in die Augen.
„Gott zum Gruß, mein Sohn“, sagte dieser, „was führt dich in das Haus Gottes?“
„Ich…, ich…“, sagte er hilflos und sah verlegen auf seine Schuhe.
„Wie ist dein Name?“
„E… Elias.“
„Sehr schön. Wusstest du, dass Elijah ein großer Prophet war? Du hast einen sehr gottestreuen Namensvetter. Er und sein Bruder Enoch sind die beiden einzigen Menschen, die von Gott wegen ihrer Treue dadurch ausgezeichnet wurden, dass er sie zu Erzengeln berufen hat.“
Elias schluckte. Er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, diesem Priester alles zu erzählen.
„Darf ich beichten?“, fragte er spontan.
„Komm, mein Sohn“, hörte er ihn sagen, „komm und erleichtere dein Herz.“
Elias beichtete wirklich alles. Angefangen von der Verzweiflung wegen dem Verlust der Arbeit über die Lügen seiner Frau gegenüber – immerhin ging er jeden Tag am Morgen weg, ganz so als ob er arbeiten ginge – bis hin zu dem furchtbaren Vorhaben, das Geld aus dem Opferstock zu stehlen. Es war das erste Mal nach vielen Jahren, dass er zur Beichte ging, doch er fühlte sich sehr erleichtert. Nun erwartete er die Buße, aber der Priester sagte:
„Ich denke, die allergrößte Buße ist für dich, wenn du jetzt heimgehst und deiner Frau alles beichtest. Aber – das mit dem Opferstock würde ich auslassen – du hast ja nichts getan. Du wirst sehen – alles wird gut. Geh zur Muttergottes mit dem Jesukind, zünde eine Opferkerze an und bitte sie um Hilfe.
Elias tat, was der alte Priester gesagt hatte, doch als er sich umdrehte, war dieser verschwunden. Genau so leise, wie er erschienen war.

Jetzt kam der schwierigste Teil des Ganzen. Elias ging nach Hause und erzählte Lore, was ihn seit Wochen so sehr bedrückte und sie sagte:
„Warum hast du mir nichts gesagt? Trägst den ganzen Pinkel Sorgen alleine mit dir herum. In ein paar Tagen ist Weihnachten und – ich bin sicher – im nächsten Jahr geht’s dann bergauf! Ich sag’s dir!“

Und so war es dann auch. Alles kam wieder in Ordnung und Elias wollte zu dem Priester gehen und sich für seinen Bestand bedanken, aber als er die Kirche betrat, kam ein ganz anderer Geistlicher auf ihn zu. Er fragte ihn nach dem alten Priester, den er sprechen wollte, bekam aber eine sonderbare Antwort:
„Wir haben keinen alten Priester hier und ich betreue diese Kirche schon seit vielen Jahren – vielleicht irren sie sich!“
Elias sah den Opferstock an. Nein. Er irrte sich ganz bestimmt nicht.

Als der Priester wieder gegangen war, steckte er ein paar Münzen in den Opferstock und wie aus weiter Ferne hörte er die wohlbekannte Stimme des alten Gottesmannes „Vergelt’s Gott!“ sagen.

Diese Weihnachtsgeschichte enstand 2013 und stammt aus der Feder von Soreylia.

4 Kommentare on “Vergelt’s Gott

  1. Wer weiß, wie vielen Menschen es ähnlich geht – daß sie zu Hause nicht sagen, das sie gekündigt wurden, und das vor Weihnachten. Wenn die Kündigung aus heiterem Himmel gekommen ist, ohne Vorwarnung oder ohne das man was angestellt hat – das stelle ich mir schlimm vor. Hoffen wir, das es niemand erleben muß. Eine schöne Adventszeit wünsche ich allen.

  2. Eine wundervolle Geschichte!
    Danke, dass du sie mit uns teilst, liebe Selune.

    Was das Schreiben betrifft, hast du sicher recht, aber mir geht es ähnlich wie Renata. Ich hätte manchmal Ideen, aber es scheitert an der Umsetzung. Dass die ersten zwei Sätze die schwersten sind, wie du meinst, könnte stimmen, von diesem Aspekt hab ich es noch nie betrachtet. Wäre vielleicht doch einen Versuch wert…

    Eine schöne restliche Woche wünsche ich euch allen!

  3. Wer sagt sowas? Du weißt es auch nicht, bis du es probierst! Eine gute Idee, ein paar Leitgedanken – dann rinnt dir die Geschichte wie von selbst aus der Feder – oder in die Tasten. Die ersten zwei Sätze sind meist die schwersten…
    Ich hingegen WEISS, dass ich handwerklich eine Null bin – mehrfach ausprobiert – hat nicht funktioniert. Werkzeuge und ich sind Todfeinde. Schreiben ist, so finde ich, leichter. „Schön“ liegt im Auge des Betrachters – und wenns dir selbst nicht gefällt: delete!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert